Robin Hobb - Von Weitsehern, Drachen und Lebensschiffen

  • Vor einiger Zeit bin ich auf einen Fantasy-Zyklus gestoßen, den ich vor wenigen Tagen endlich fertig durchgelesen habe. Anbei meine Eindrücke.

    Es handelt sich dabei um den Weitseher- bzw. den Lebensschiffe-Zyklus von Robin Hobb. Das sind zwei Zyklen, die in der selben Welt spielen. Die Aufteilung sieht chronologisch wie folgt aus:

    Weitseher 1-3 (Assasinen-Zyklus)
    Lebensschiffe 1-6
    Weitseher 3-6(7)

    Die beiden Zyklen spielen in unterschiedlichen Regionen, die wohl einige hundert Kilometer voneinander entfernt sind: Die Sechs Provinzen (Weitseher) im Norden, die Regenwildnis/Bingtown im Süden.

    Die Geschichte entwickelt sich wie folgt: Die Weitsehergeschichte wird aus der Ich-Perspektive des Protagonisten erzählt. Dieser beginnt die Geschichte als ein sechsjähriger Junge. Er wird als illegitimer Sohn des ältesten Prinzen des "Weitseher"-Throns von seinem Großvater mütterlicherseits quasi vor den Toren der Burg "abgeliefert"; nach dem Motto: "Sechs Jahre habe ich den Bastard durchgefüttert, Zeit, dass sich sein Vater darum kümmert." Diese Handlung zwingt den Vater unseres Protagonisten zum Abdanken und bringt den kleinen Fitz, wie er fortan genannt wird, in eine schwierige Lage. Zu Beginn kümmert sich der Stallmeister seines Vaters um ihn, später wird der Junge dann in die Obhut eines Meisters gegeben, der ihn zum Assasinen ausbildet. Seinen ersten Mord im Auftrag der Krone begeht Fitz mit 12 Jahren. Fitz hat es am Hof besonders schwer: Nicht nur, dass sein Vater keinen Kontakt zu ihm hat (bzw. darauf verzichtet, um das Leben des Jungen nicht zu gefährden). Fitz wird auch noch dem jüngeren der drei Prinzen, seinem Onkel Edel, drangsaliert und gedemütigt. Auch bekommt der Junge Schwierigkeiten mit Burrich, dem Stallmeister: Der hat nämlich entdeckt, dass Fitz über die "Alte Macht" verfügt, eine Magie, die es einem ermöglicht, sich mit einem Tier zu verschwistern, zum Beispiel einem Falken, einem Pferd oder einem Hund. Fitz, dem diese Magie natürlich vorkommt, ist am Boden zerstört als er von Nosy, seinem ersten Geschwistertier gewaltsam getrennt wird. Im Laufe der Geschichte gerät Fitz von einer schwierigen Situation in die nächste, hat aber dennoch ein paar Verbündete, die ihm immer wieder ein paar Lichte Momente bescheren. Zum Beispiel den Hofnarrn des Königs Listenreich (Fitz' Großvater), oder seine Spielkameraden unten in der Stadt, oder später die Witwe seines mittlerweile verstorbenen Vaters. Schwer hat er es, als man ihn in der "Gabe", einer Magie, die hauptsächlich bei den Weitsehern verbreitet ist, unterrichtet. Der Gabenmeister hasst den Jungen und misshandelt ihn grausam. Fitz überlebt nur mit Mühe. Sein magisches Talent wird verstümmelt und er kann die Gabe kaum kontrollieren. Dabei wäre das sehr wichtig, denn es herrscht Krieg mit den Outislandern, die den Sechs Provinzen schweren Schaden zufügen. Mit 15 hat Fitz schon dutzende Morde begangen, den einen oder anderen Anschlag auf sein Leben überlebt und sich mehr schlecht als recht durchs Leben gekämpft. Am Ende des dritten Bandes ist Fitz fast 20, vom Leben schwer gezeichnet und er tritt erst einmal für 15 Jahre in den wohl verdienten Ruhestand.
    Ich muss sagen, diese ersten drei Bücher betrachte ich mit Skepsis. Einerseits sind sie schön geschrieben und leicht (manchmal zu leicht) zu lesen, andererseits wartet man von Kapitel zu Kapitel, dass Fitz endlich mal was Gutes wiederfährt und wird immer wieder enttäuscht. Ich bin der Ansicht, dass die Autorin da manchmal mit dem Hinhalten und dem Hinauszögern der Erfolgsmomente übertreibt. Mehr als einmal habe ich entnervt das Buch weggelegt und mir gesagt: "Wieso macht er das denn mit? Der muss nur ... tun, und alles ist erledigt. Was soll das?" Andererseits sind die Charaktere wunderbar beschrieben, vor allem der Narr und natürlich Fitz selbst.


    Die 15 Jahre Pause, die die Autorin bei den Weitsehern einlegt nutzt sie, um uns die Stadt Bingtown und die Lebensschiffe zu beschreiben, was sie in 6 Büchern auch ausgiebig tut. Im Gegensatz zur Monarchie der Weitseher geht es in Bingtown weniger um den Erhalt eines Throns als vielmehr um Handel und Profit, Piraten, exotischen Waren und um Schiffe, die leben und denken können. Als Protagonisten dienen die Mitglieder der arg gebeutelten Familie Vestrit. Diese haben sich hoch verschuldet, um so ein Lebensschiff zu erwerben. Lebensschiffe haben die Eigenschaft, dass sie, nachdem drei Generationen von Händlern der selben Familie an Deck verstorben sind, zum Leben erwachen und dabei einen Teil der Erinnerungen der Verstorbenen in sich tragen, und damit auch alle Erfahrungen. Kaum dass das Schiff der Vestrits erwacht ist, wird unserer Protagonistin das Schiff, das sie eigentlich von ihrem Vater erben sollte, vom eigenen Schwager entrissen. Es folgt eine aufreibende Suche und "wiedereroberung" des Schiffes. Auch der erste Maat, der dabei vom Schiff vertrieben wurde, sucht sein eigenes Glück. Und die entfernten Verwandten der Bingtown-Händler, die in der lebensfeindlichen Regenwildnis leben, werden auch ausgiebig beschrieben. Es gibt viele Verwicklungen, Magie und Geheimnisse, und ja, auch Drachen, um die sich dieser Zyklus eigentlich dreht (Der Weitseherzyklus eigentlich auch, aber ich will nicht allzu viel verraten). Nebenbei wird ein Krieg mit dem Nachbarn aus Chalced im Norden geführt. Auch der Handlungsstrang um das wahnsinnige Lebensschiff Paragon und dem Piratenkapitän Kennit weiß zu überzeugen.
    Auch hier habe ich manchmal den Eindruck, dass die Autorin ein wenig übertreibt. Zu oft schüttelt man den Kopf und wünscht sich, EINMAL, nur einmal in die Rolle des Protagonisten schlüpfen zu können, denen würde man es dann schon zeigen. Alles in allem ein sehr schöner Zyklus und der Leser der Weitseher-Romane kann sich auf eine sehr freudige Überraschung mit einem/r alten Bekannten gefasst machen.


    Dann wird wieder zu den Weitsehern geschwenkt. 15 Jahre sind mittlerweile vergangen, Fitz ist Mitte Dreissig, da ereilt ihn der Ruf der Krone. Seine Dienste werden wieder gebraucht. Das Land lebt mittlerweile in Frieden, doch dieser ist gefährdet: Ausgerechnet der Thronfolger Pflichtgetreu (der nebenbei bemerkt 15 Jahre alt ist...) soll die Narcheska Elianna heiraten, eine Outislander-Prinzessin, den ehemaligen Feind. Und der Narcheska fällt nichts Besseres ein, als zum Entsetzen aller einen Beweis seiner Ernsthaftigkeit zu verlangen. Fitz gerät wieder einmal mitten in den größten Trubel, was zusätzlich dadurch erschwert wird, dass er vor 15 Jahren in einem Kerker zu Tode gefoltert und anschließend begraben wurde. Er befindet sich inkognito am Hof und muss sich nicht nur mit einem widerspenstigen Prinzen und seinem alten Lehrmeister herumschlagen, sondern auch mit seinem Ziehsohn Harm, den er mit aus seiner Einsiedelei in die "Großstadt" genommen hat, damit der Junge in die Lehre geht. Auch sein Geschwister-Wolf, Nachtauge, macht Fitz Sorgen, denn dieser kommt langsam in die Jahre. Und dann soll Fitz ausgerechnet eine neue Gabenkordiale für den Prinzen bilden und deren Gebenmeister sein. Dabei weiss Fitz selbst kaum etwas über die Gabe, mit der ein geübter Kundiger Nachrichten übermitteln kann, aber auch heilen oder verletzen kann. Ganz nebenbei muss er sich in seinen Träumen gegen Nessel wehren, die verzweifelt versucht, Kontakt zum "Schattenwolf" zu finden, wie sie Fitz nennt. Nesel lebt mit Burrich, den sie für ihren Vater hält und Molly zusammen, ihrer Mutter und Fitz' Jugendliebe. Und so beginnt eine Queste, die Fitz und die anderen bis in das Herz des eisigen Outislander-Terrotoriums führt, nach Askejval, der Eisinsel.
    Dieser Zyklus ist in Deutschland in 4 Bänden erschienen. Wer des Englischen mächtig ist, sollte besser auf die Originalbücher zurückgreifen, denn die Übersetzung ist gelinde gesagt enttäuschend. Sehr gefallen hat mir indessen der Schreibstil und der Aufbau. Endlich hat sich aus meiner Sicht eine ausgewogene Balance eingestellt und die Handlung gleich eher eine langsam ansteigenden Sinuskurve, anstatt einem dauernden Ab mit gelegentlichen Auf's.


    Alles in allem sind es aus meiner Sicht sehr lesenswerte Bücher. Sie können vom Niveau und der Erzähltiefe nicht ganz mit "Referenzbücher" wie Herr der Ringe mithalten, erzählen aber dennoch eine wunderbare Geschichte, die für Fantasyfans eine wahre Freude darstellt. Ich empfehle aber unbedingt, die Bücher chronologisch zu lesen. Seid aber gewarnt, die Schwarten haben zum Teil 900 Seiten und lassen einen nicht wieder los, bis man durch ist.

    In diesem Sinne, viel Spass beim Lesen


    Athain

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